Türkisches Essen
Für alle, die sich auf ihrer Reise für kulinarische Feinheiten interessieren, ist die türkische Küche auf jeden Fall einen Abstecher wert. Geprägt wird die Küche durch ihre Vielfalt, die Art, wie gemeinsam bei festlichen Gelegenheiten gespeist wird, und die offensichtliche Komplexität eines jeden Gangs. All dies bietet ausreichend Material, um sich ein Leben lang mit der türkischen Küche zu befassen und diese zu geniessen. Aufgrund ihrer Vielfalt an Gerichten, der Verwendung natürlicher Zutaten, der breiten Palette an Aromen und Geschmacksrichtungen und der Einflüsse in Europa, Asien, dem Mittleren Osten und Afrika wird die türkische Küche als eine der drei Hauptküchen der Welt betrachtet.
Die türkische Küche hat ihre Wurzeln in Zentralasien, der ursprünglichen Heimat der Türken. Unter dem Einfluss der einheimischen und der Mittelmeerkulturen, mit denen die Türken nach ihrer Ankunft in Anatolien in Kontakt kamen, entwickelte sie sich weiter. Über Jahrhunderte hinweg wurde sie im Palast des Sultans verfeinert und bereichert, bewahrte aber ihre Tendenz zur Einfachheit und zu natürlichen Geschmacksrichtungen. Ebenso wie Baklava (Honig und Nussgebäck),
Aber Essen ist in der Türkei nicht einfach nur Essen. Das Abendessen mit Freunden und der Familie in einem guten Restaurant kann vier bis fünf Stunden dauern. Die Beteiligten nippen an den Getränken und geniessen die schier endlos scheinende Zahl an heissen und kalten Gerichten, während sie Konversation betreiben, anfangs unbeschwert und lustig, später dann in poetischer Form und von der Vergangenheit schwärmend. Die türkische Küche rangiert mit ihrer Vielfalt, ihrem Nährwert und ihrer Finesse zwischen der französischen und der chinesischen Küche.
Wie in der chinesischen und französischen Küche variiert die türkische Küche je nach den verfügbaren Zutaten. Die ursprüngliche türkische Küche Zentralasiens bestand hauptsächlich aus Fleischgerichten und Milchprodukten wie Käse,Fleisch, Fisch, Gemüse und Pasta können in unzähligen Variationen zubereitet werden. So ist beispielsweise die Aubergine, eine Gemüsesorte, die in Europa nicht so weit verbreitet ist, ein Hauptgericht in der Türkei und kann auf nicht weniger als 40 verschiedene Arten zubereitet werden. Die Saucen und Gewürze in der türkischen Küche dürfen den ursprünglichen Geschmack der Hauptzutaten niemals verändern. Meistens werden die Zutaten in ihrem eigenen Saft gekocht und das Aroma durch Butter, Olivenöl, Salz, Zwiebeln, Knoblauch, Gewürze und Essig unterstrichen.
Einige kulinarische Spezialitäten aus der Türkei sind weltweit bekannt. Eine davon ist Lokum. Es besteht aus Zuckersirup, der mit Stärke, Haselnüssen, Pistazien, Minze oder Rosenwasser gekocht wird. Baklava, ist natürlich, eine weitere berühmte Süßspeise der Türkei. Weitere Spezialitäten an Süsswaren sind Mandel-, Pistazien- und Kokosnusspasten. Geröstete Pistazien gehören zu den wohl beliebtesten Snacks und werden auch für verschiedene Gerichte und Süssigkeiten verwendet.
Auch der türkische Kaffee ist weltbekannt. Kaffee wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts nach Istanbul importiert, als der Jemen erobert wurde. Die Zubereitung unterscheidet sich deutlich von derjenigen anderer Kaffees. Zuerst wird der gemahlene Kaffee in einem Kännchen mit Griff in kaltes Wasser eingerührt. Dann wird er gekocht, bis er schäumt. Der Schaum wird daraufhin in die Tasse gegossen und der Kaffee noch einmal gekocht.
Der Kaffeesatz am Boden der Tasse ist nicht trinkbar. Er wird oftmals von türkischen Frauen zum Vorhersagen der Zukunft genutzt. Diese sind meistens sehr geübt darin, die Muster im Kaffeesatz auf eine versteckte Botschaft hin zu interpretieren.
Eine weitere türkische Spezialität ist zweifellos das türkische Simit (Bagel). Simit ist ein mit Sesam bestreuter Brotkringel, der immer und überall, an jeder Häuserecke zu haben ist. Die Türken beginnen ihren Tag gern mit einem frisch gebackenen Simit und einer Tasse türkischen Tee, für dessen Zubereitung zwei übereinander stehende Teekannen verwendet werden.
Dank der umfangreichen Auswahl an Obst und Gemüse in Anatolien entwickelte sich die Küche entsprechend weiter.
Aufgrund ihrer zentralasiatischen Wurzeln und ihrer späteren Weiterentwicklung in Anatolien stellt die türkische Küche heute eine Art Brücke zwischen der fernöstlichen und der mediterranen Küche dar.
Medien
Der türkische Medienmarkt ist einer bunter Blätterwald: das Boulevard-Blatt Posta und die liberal-konservative Hürriyet gehören zu den auflagenstärksten Zeitungen. Zahlreiche TV-Kanäle versorgen die Zuschauer des Landes mit einem vielfältigen Programm. Seit 2009 sendet die staatliche Sendeanstalt TRT auch in kurdischer Sprache. Dabei handelt es sich meist um Übersetzungen türkischer Sendungen. TRT 6 ist kein Sprachrohr der kurdischen Bevölkerungsgruppe.
Die Meinungs- und Pressefreiheit ist stark eingeschränkt.Dies bemängelt auch die EU-Fortschrittskommission und spricht von einem starken Druck, den Regierung und Staat auf Journalisten und Medienschaffende ausüben. Dem Index für Pressefreiheit zufolge, veröffentlicht von «Reporter ohne Grenzen» befindet sich die Türkei auf Platz 154 von 180. Beklagt wird, die hohe Zahl verhafteter Journalisten nach dem Putsch 2016, die Schließung von mehr als 150 Medien. Unter Publizisten und Verlegern herrschen Angst und Existenznot. Die gefürchteten Anklagepunkte lauten häufig «Nähe zu staatsfeindlichen Organisationen» und «Verunglimpfung der türkischen Nation».
Die Medienmacht liegt derzeit gebündelt in der Hand von wenigen Unternehmensgruppen: Dogan, Demirören, Calik,Ciner, Cukurova, Türk Media u.a. Sie erzeugen ihre Wertschöpfung in anderen Bereichen, z.B. in der Baubranche und durch die Beteiligung an staatlichen Ausschreibungen bzw. Privatisierungen. Dies führt zu einem einem Konkurrenzverhältnis zwischen Anpassung und Unabhängigkeit. Aber auch die säkularen Lager instrumentalisieren ihre Medienorgane. Religiös und regierungsnah sind Türkiye, Yeni Safak, kemalistisch und linksliberal sind Cumhurriyet, Birgün, Evrensel. Radikal wurde 2016 eingestellt.
Soziale Medien erfahren der Türkei großen Zuspruch. Die meisten Facebook-Accounts weltweit gibt es in der Türkei, 35 Millionen User sind registriert, 4 Millionen Menschen twittern, die Blogger-Szene boomt. Der Hintergrund ist der Vertrauensverlust gegenüber den traditionellen Informationskanälen. Staatliche Behörden versuchen auch hier, Einfluss und Zensur auszuüben. Zahlreiche Webseiten sind gesperrt. Derzeit wird an der Konzeption einer türkischen Alternative zu Google gearbeitet, Bianet ist ein unabhängiges Nachrichtenportal im Internet.
Alle großen deutschen Nachrichtenmagazine und Fernsehanstalten haben Korrespondenten in der Türkei, nicht immer werden die Akkreditierungen verlängert. Deniz Yücel, Journalist der «Welt», befand sich ohne formal vorgelegte Anklageschrift ein Jahr in Untersuchungshaft. Dies führte zu einer Verschärfung des ohnehin kritischen Verhältnisses zwischen Deutschland und der Türkei, die ihm Unterstützung einer Terrororganisation vorwarf. Auch Mesale Tolu wurde in Ausübung ihrer journalistischen Tätigkeit sieben Monate festgehalten. Peter Steudtner, Menschenrechtsaktivist und Dokumentarfilmer, wurde im Verlauf einer Tagung von Amnesty International Türkei, von Sicherheitskräften in Gewahrsam genommen und kam nach einem halben Jahr wieder auf freien Fuß. Alle Gerichtsverfahren dauern an.
Musik
Musik gehört zum Alltag der Menschen und so sind Genres und Instrumente vielfältig. Als große Gruppen lassen sich die türkische Kunstmusik, die türkische Volksmusik mit ihren Schattierungen (Özgün Musik, Arabesk, Musik der Roma, der Kurden), türkische Pop- bzw. Rockmusik voneinander unterscheiden. Der Musikwissenschaftler Dr. Martin Greve forscht über die vielen Facetten der türkischen Musik und ordnet sie in bekannte Strukturen ein.
Beispiele für musikalisches Schaffen unterschiedlichster Stilrichtungen: Selim Sesler spielt Roma-Musik.
Ibrahim Tatlises vertritt die Arabesk-Musik, wie auch Orhan Gencebay und Müslüm Gürses. Ahmet Kaya (verstorben 2000) war berühmt als Sänger linker türkischer Protestmusik (özgün müzik).
Tarkan ist ein türkischer Pop-Sänger, der mit „Şıkıdım“ auch international berühmt wurde. Baba Zula spielten ursprünglich türkischen Rock, kombinieren Rock, Reggae, Elektronik mit türkischen Instrumenten.
Aynur Dogan singt kurdische Lieder. Sie tritt auch auf europäischen Festivals auf.
Sezen Aksu ist die große Dame der Pop-Musik. Als Sängerin, Songwriterin und Produzentin tritt sie selbst auf die Bühne und unterstützt auch junge Künstler in ihrer Entwicklung.
Ceza macht türkischen Rap.
Bandista ist ein Musikkollektiv und verbindet Ethno, Ska und Dub mit politischer Botschaft In der türkischen Musik beheimatet sind:
Sazinstrumente/Langhalslauten: Baglama (mittlere Größe) Ud: Kurzhalslaute
Ney: Langflöte
Türkische Kunstmusik mit Oud, Ney, Geige und Chor (43min)
Literatur
Orhan Pamuk ist nicht erst seit Verleihung des Literaturnobelpreises 2006 der türkische Schriftsteller, der zusammen mit Yasar Kemal, über die Grenzen seines Landes hinaus, große internationale Bekanntheit erreicht hat. „Das Museum der Unschuld» erschien 2008. Im April 2012 wurde in Istanbul, im Stadtteil Cukurcuma, das das zum Buch gehörige und weit darüber hinausgehende „Museum der Unschuld“ eröffnet. Es zeigt „Fundstücke und Artefakte einer fiktiven Liebe» und bildet daraus das Melodram seiner Stadt.
Daneben sind aber weitere Namen auf den Bestseller-Listen, den Feuilletons und im literaturwissenschaftlichen Betrieb erschienen, die die kreative Explosion des aktuellen schriftstellerischen Schaffens beweisen. Zur neuen Literaturszene gehören u.a. Murat Mungan, Ayse Kulin, Elif Safak, Perihan Magden, Tuna Kiretmitci, Hakan Günday, Murat Uyurkulak, Oya Baydar, Oguz Atay.
Das schriftstellerische Schaffen dieser Gruppe ist gekennzeichnet durch eine Abkehr von literarischen Grundströmungen und einheitlicher politischer Haltung. Ahmet Oktay, einer der einflussreichsten Intellektuellen der Türkei, bemerkt hierzu, im neuen Millennium seien „die Ideologien, die die Literatur der republikanischen Epoche beeinflussten, indem sie den Subtext, die tiefere Bedeutungsebene und geistige Textstruktur durchdrangen, einer individuellen Haltung gewichen, die Literatur fern jeder ideologischen Einflussnahme von Gruppen oder Strömungen produziere.“
Einen Überblick über das literarische Schaffen der Türkei erhält man in der Türkischen Bibliothek, erschienen im Unionsverlag. Dabei handelt es sich um Meilensteine türkischer Literatur aller Gattungen, die bislang nicht ins Deutsche übersetzt waren und die Epoche zwischen 1900 und der Gegenwart abbilden. Auch der Literaturca Verlag und der Dagyeli Verlag bieten Anregung und Information zum Thema.
Daneben gibt es jedoch auch deutsch-türkische AutorInnen wie zum Beispiel Feridun Zaimoğlu, Emine Sevgi Özdamar, Zafer Senocak, Selim Özdogan, Fatma Aydemir, Yade Kara und Hatice Akyün.
Bildende Kunst
Die moderne Malerei fristete in der Türkei lange ein Schattendasein. Auch in der akademischen Bildung ging es mehrheitlich um Auseinandersetzung mit europäischen Vorbildern, weniger um eigene Kreativität und Konzeption.
Dies hat sich grundlegend geändert. Die türkische Kunstszene boomt und explodiert förmlich. Ansätze, Techniken, Formate sind so vielfältig wie die Themen, die die Künstler bewegen. Das Zentrum bildet Istanbul, dies macht sich auch bemerkbar an der musealen Szene, die mit „Istanbul Modern“ ein Ausstellungshaus für moderne Gegenwartskunst gegründet hat. Damit trägt die Stadt dem erstarkten internationalen Interesse an türkischer bildender Kunst Rechnung. Auch die im Ausland tätigen Künstler und die Verarbeitung ihrer kreativen Ideen finden dort eine Heimat. Bislang rekrutieren sich die Exponate aus privaten Stiftungen und Banken. Dies soll sich in Kürze ändern und das Haus wird auch internationale Künstler ausstellen.
Im Nachbarviertel Tophane hat sich eine lebendige Galerie-Szene entwickelt. Schubkraft gab auch hier nochmals das Jahr 2011, als Istanbul europäische Kulturhauptstadt war. Der Konzeptkünstler Sener Özmen oder das Multitalent Ebru Özsecen stehen nur beispielhaft für die neue bildnerische Kraft.
Film, Theater, Tanz
Nuri Bilge Ceylan, Cagan Irmak, Zeki Demirkubuz, Reha Erdem, Semih Kaplanoglu und Yeşim Ustaoğlu sind die wichtigsten Vertreter eines neuen unabhängigen türkischen Kinos, das auch auf internationalen Festivals große Beachtung findet. Als «Goldene» Ära gelten die 60er und 70er Jahre. In den Yesilcam-Studios in Istanbul wurden bis zu 200 Filme pro Jahr hergestellt. Als durchgängiges Film-Motiv fanden sich Geschichten um Paare aus verschiedenen Milieus, die nach Umwegen und Verwirrungen zueinander kommen. Die 60er Jahre stehen auch für eine Politisierung des Kinos. Der Nachhall des Putsches von 1960 findet sich u.a. bei Yilmaz Güney in «Umut» oder «Yol».
Heute differenziert sich das türkische Kino immer weiter aus. Neben Autorenfilmen blüht auch das Mainstream-Kino mit Melodramen und Komödien. Insgesamt zeigt sich die heimische Filmbranche sehr zufrieden. Ca. 40% der Umsätze werden mit einheimischen Produktionen erwirtschaftet.
Die Theatertradition der Türkei unterscheidet sich gänzlich von der westlichen. In Anatolien war die mündlich überlieferte Erzählkunst weit verbreitet. Schattenspiele, Marionetten-Theater waren gängige Formate. Erst im Zuge der Neugründung der Republik entstanden staatliche und städtische Theater nach westlichem Vorbild. Gespielt wurden hauptsächlich Übersetzungen aus dem Westen. Mushin Ertugrul gilt als Begründer des türkischen Theaters, Güngör Dilmen war einer der einflussreichsten Theaterschriftsteller.
Im Unterschied zum Boom in der bildenden Kunst und der Filmszene war das kreative Theaterschaffen auf wenige Initiativen beschränkt, die jedoch in Folge der Gezi-Proteste eine Blüte erlebten. Knappe Fördermittel und politische Restriktionen begleiten jedoch die innovative Arbeit des Istanbuler Galataperform oder der Krek Theater Companie, die von Berkun Oya geleitet wurde
Alle Städte in der Türkei haben ihre eigenen Volkstänze, die mit Handgeigen (Kemence), Hirten- Dudelsäcken (Tulum) oder Trommeln (Darbuka) begleitet werden. An der Schwarzmeerküste ist der Horon verbreitet. In Kars kennt man die Kafkas-Tradition. Halay tanzt man in der östlichen Mittelmeer-Region, in Ost-, Südost- und Zentralanatolien. Es gibt viele professionelle Tanzgruppen, so dass sich diese Gattung zu einer eigenen Kunstrichtung entwickelt hat.
Weltkulturerbestätten
Kulturelle Stätten des Unesco-Weltkulturerbes in der Türkei
Archäologische Stätte von Troja (1998)
Stadt Safranbolu (1994)
Große Moschee und Krankenhaus von Divriği (1985)
Hattuscha, die Hauptstadt des Hethiter (1986)
Historische Bereiche von Istanbul (1985)
Nemrut Dag (1987)
Selimiye-Moschee, Edirne (2011)
Xanthos-Letoon (1988)
Ebenfalls aufgenommen wurden als Weltnaturerbe
Nationalpark Göreme und die Felsen von Kappadokien (1985)
Hierapolis-Pamukkale (1988)
Religion
Islam in der Türkei
Das Diyanet, Präsidium für Religionsangelegenheiten, ist eine staatliche Einrichtung zur Verwaltung der religiösen Angelegenheiten in der Türkei – organisatorisch dem Ministerpräsidialamt angegliedert. Sie ist Arbeitgeber für 88 000 Vorbeter/Imame, Prediger/Hatip, Gebetsrufer/Muezzin, islamische Rechtsgelehrte/Mufti. Auch für den Bau und den Unterhalt der Moscheen ist sie verantwortlich, ebenso für die Ausbildung, Einsetzung und Abberufung von islamischen Religionsdienern, den Unterhalt von Fakultäten und der Ausrichtung der Korankurse. Das Diyanet organisiert die jährliche Pilgerfahrt nach Mekka und erstellt Fatwas auf Anfrage von Gläubigen.
Insofern ist sie auch die höchste islamische Autorität des Landes. Das Diyanet sichert nach herrschendem Staatsverständnis die sichtbaren Erscheinungsformen von Religion und hält sie somit unter Kontrolle.
Das Thema der Religionsfreiheit ist durch die Verfassung gewährleistet, in der Praxis sehen sich muslimische wie nicht-muslimische Minderheiten Repressalien ausgesetzt.
Politischer Islam
Zu Beginn der Republik war Religion im politischen Alltagsgeschäft nicht vorhanden. Mit der Zulassung des Mehrparteiensystems 1946 kam die Verbindung von Nation und Islam auf die politische Parteienbühne zurück. Adnan Menderes, Süleyman Demirel und Turgut Özal traten in Folge dafür ein, dass Religion im öffentlichen Leben sichtbar sein sollte und setzten dafür zahlreiche Veränderungen durch: z.B. Einführung von verpflichtendem Religionsunterricht, Gebetsruf wieder auf Arabisch, Anerkennung der Koranschulen. Gleichzeitig richteten sie ihre Politik immer auch auf wirtschaftliche Belange und eine Verbesserung der sozioökonomischen Situation – u.a. durch eine Mechanisierung der Landwirtschaft, wirtschaftsliberale Gesetzgebung und die Öffnung der Märkte.
Da religiöses staatspolitisches Handeln von Seiten des Militärs immer mit einer Aushebelung Atatürk’scher Grundprinzipien bewertet wurde, standen die Putsche von 1960, 1971 auch mit der religiösen Ausrichtung der jeweiligen Regierungspartei (Adnan Menderes – Demokrat Parti; Süleyman Demirel Adalet Parti/später Dogru Yol Parti) in Verbindung. Gleichzeitig wurde durch die militärischen Interventionen versucht, die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Gruppierungen zu beenden, die mehrere Tausend Tote kosteten.
1970 gründete Necmettin Erbakan zum ersten Mal eine islamistische Partei, die auf eine Wiedereinführung der Scharia pochte. Die nationale Ordnungspartei MNP wurde jedoch 1971 wieder verboten und so ging es auch den zahlreichen Nachfolgeparteien. Mit öffentlich geäußerten gemäßigteren Versionen gelang es Erbakan das Ministerpräsidentenamt mehrmals zu gewinnen und an mehreren Koalitionen beteiligt zu sein. Starken Wählerzuwachs erreichte er durch die rasche Urbanisierung. Weniger theologische Fragestellungen oder religiöse Diskurse trugen zum Erfolg bei als wiederum vielmehr Themen wie Wirtschaft und Soziales, Verwaltung und Management. Als das Militär erneut um die Staatsdoktrin fürchtete, wurde er zu einem fünfjährigen Politikverbot verurteilt. Aus der Nachfolge-Partei, der Fazilet Partisi, ging unter Recep Tayip Erdogan, die gemäßigte AKP hervor, die seit 2001 in der Regierungsverantwortung ist.
Ihr Ziel war eine Europa zugewandte Politik und damit eine eindeutige Abkehr von der islamistischen Idee eines Gottesstaats der Erbakan’schen Vorläuferparteien. In den 70er Jahren und in Konkurrenz zu Erbakan entstand die Gülen-Bewegung, die nicht parteipolitisch aktiv agierte, sondern über Bildungsprogramme und Postenbesetzung in der Verwaltung an Einfluss gewann. Mit der AKP und Erdogan zeigte sie sich jahrelang ideologisch auf einer Seite. 2013 eskalierte der Streit, als es von Gülen nahestehenden Richtern zu Korruptionsvorwürfen, Razzien und Verhaftungen von Parlamentsmitgliedern und involvierter Familienmitglieder kam.
Wird die Gesellschaft religiöser – ist ebenfalls eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt. Bedeutet das Entstehen einer religiösen Mittelschicht und der Anstieg von Frauen mit einem Türban- Kopftuch eine Islamisierung? Die Antworten wechseln je nach Betrachter. Für die einen ist die Sichtbarkeit von Kopftuch-Frauen in der Öffentlichkeit ein Zeichen für Demokratisierung und Fortschritt, ein Signal für die Aufhebung bislang stark segregierter Räume. Für die anderen bedeutet dies eine Abkehr der westlichen Werte und Lebenshaltungen.
Muslimische Minderheit: Aleviten
Die Grundlage ihres Glaubens ist Allah, sein Prophet Mohammed, sowie dessen Schwiegersohn und
4. Kalif Ali als Stellvertreter des Propheten. Aus diesem Grund wird von sunnitischer Seite immer der Vorwurf der Häresie und der Vergötterung Alis laut. Aleviten deuten den Koran mystisch: der Mensch steht im Mittelpunkt, er ist nicht Sklave Gottes, sondern seine vollkommene Schöpfung. Damit besitzt er eigene Verantwortung und ist in seinen Handlungen autonom.
Auch in der Auslegung der 5 Säulen des sunnitischen Islams unterscheiden sich die Aleviten: Gefastet wird acht Tage im Monat Muharrem. Ihre Gebete verrichten sie in Gebetshäusern, wobei Männer und Frauen gemeinsam beten. Frauen tragen selten Kopftuch und das Geschlechterverhältnis gilt als eher gleichberechtigt. Dies führt dazu, dass ihnen sexuelle Ausschweifungen von sunnitischer Seite unterstellt werden. Das Verhältnis zwischen Staat und der Gruppe der Aleviten ist historisch und aktuell ambivalent.
Orden und Bruderschaften
Die tanzenden Derwische sind die bekannteste sufistische Bruderschaft (Tarikat) – auch wenn sie heute nur noch eine touristische Erscheinung sind.
Im Unterschied zu hiesigem Ordensverständnis leben die Angehörigen nicht ständig zusammen. Sie halten eine ideelle Verbindung und treffen sich ggfs. zu rituellen Tänzen, Gebeten, Gesängen. Elemente des Heiligenkults, der Mystik und des Aberglaubens sind im Zentrum der spirituellen Praxis. Der Mensch erkennt mit Hilfe eines mystischen Lehrers Gott und gelangt zeitweise zu einer Einheit mit ihm. Während der Gründungsphase der Türkei waren die Orden verboten. Sie überlebten im Untergrund und trugen zum Wiedererstarken des türkischen Islam bei.
Verbreitet ist auch Naksibendi-Orden, der eigene Schulen, Fernsehsender, Tageszeitungen betreibt oder die weltweit agierende Fethullah-Gülen-Bruderschaft. Erdogan und Gülen waren über lange Jahre ideelle Gefährten im Kampf gegen das Militär und die kemalistische Grundlage des Staates, die Religion so vehement ausschloss. Während Erdogan auf der politischen Bühne den Islam präsent gemacht hat, war Gülen war auf dem Bildungssektor aktiv. Inzwischen hat sich diese Partnerschaft in Konkurrenz und Feindschaft verwandelt. Der Staatspräsident und die Anhänger der AKP sehen in Gülen und seinen Anhängern Drahtzieher für Verleumdungskampgagnen. Auch für den Putsch von Juli 2016 werden Gülen-Sympathisanten verantwortlich gemacht. Da Gülen seit ca. 2000 im amerikanischen Exil lebt, strebt Erdogan derzeit ein Auslieferungsverfahren des Predigers an. Außerdem werden Beamte und Angestellte der Verwaltung, die der Gülen-Bewegung zugeordnet werden, Gerichtsverfahren unterzogen oder aus staatlichen Einrichtungen entlassen.
Volksislam
Reichlich verbreitet sind Praktiken, die zwischen Volksislam und Aberglauben angesiedelt sind. Amulette gegen den „Bösen Blick“ sind nahezu überall zu finden. „Mavi Göz“ – Blaue Glasperlen mit einem Auge schützen vor Neid und Unbill. Weihe- und Opfergaben an besonderen Plätzen sollen für die Erfüllung besonderer Wünsche (Eheschließung, Kinder, Gesundheit, Arbeit) sorgen. Zu besonderen Ereignissen, z.B. nach einer Geburt oder dem Kauf einer Wohnung, werden Tiere geopfert, um sich dankbar zu erweisen und auch die Gemeinschaft daran teilhaben zu lassen. Was man auf öffentlichen Busbahnhöfen sehen kann, wenn Familienangehörige verabschiedet werden, ist das Ausschütten eines Eimers Wasser: „Yol acik olsun – Möge dein Weg und deine Rückkehr offen sein.“
Christliche Minderheiten
Nach türkischem Verständnis werden als Minderheiten lediglich die „nicht muslimischen Minderheiten der Armenier, Griechen und Juden, die innerhalb der monarchisch-theokratischen Struktur des Osmanischen Reiches als „Nationen“ (millets) organisiert waren … und die in den Artikeln 37-45 des Friedensvertrages von Lausanne enthaltenen Garantien genießen, als Minderheiten anerkannt.“ (Quelle: Memorandum des Außenministeriums der Republik Türkei an das vatikanische Staatssekretariat). Daneben gibt es aber auch noch andere christliche Religionsgruppen, z.B. aramäische Christen, auch Aramäer genannt, die vom Sonderstatus nicht profitieren.
Armenische Minderheit
Völkermord oder Deportation – an der Begrifflichkeit scheiden sich die Geister. Während für viele Staaten die Ermordung hunderttausender Armenier (Schätzungen reichen von 300 000 – 1,5 Mio.) im Verlauf des ersten Weltkriegs (1915-1916) durch osmanische Truppen eindeutig ein Genozid ist, tut sich die Türkei schwer damit. Im Geschichtsbewusstsein der Türken heißt dieser Vorgang „Umsiedelung“ und negiert das Ausmaß, die Brutalität und die Absicht des gewaltsamen Vorgehens. Armenien wird als Gegner gesehen, der mit Hilfe Russlands versucht hat, die Einheit des Osmanischen Reiches durch Abspaltungstendenzen zu gefährden. Im Selbstverteidigungsrecht und der Not eines angegriffenen Staates legitimiert die Türkei das Vorgehen von Ermordung, Deportation, Verfolgung und Enteignung.
Hinter dieser Haltung steckt mehr als die Gefahr eines Gesichtsverlusts. Mit der Aufarbeitung der Vorgänge könnte der Gründungsmythos der türkischen Nation ins Wanken geraten. Denn die an den Gräueltaten beteiligten Offiziere und Militärs übernahmen nach Staatsgründung möglicherweise hohe Aufgaben und Ämter. Was würde passieren, wenn man den Gründungshelden Eigeninteressen nachweisen müsste?
Die Zahl armenischer Bürger nahm jedenfalls kontinuierlich ab. Vor dem Massakern und Vertreibungen lebten ca. 2 – 2,5 Mio. Armenier auf dem Gebiet des Osmanischen Reiches. Heute gibt es noch 60 000 bis 70 000 Armenier in der Türkei, die meisten davon in Istanbul. Dort verfügen sie über eine eigene Infrastruktur mit einem armenisch-orthodoxen Patriarchat, 42 eigenen Kirchen, 17 Grundschulen, zwei Gymnasien, einem Kindergarten, 53 Gemeindestiftungen und 2 Krankenhäusern. Zusätzlich erscheinen in Istanbul zwei armenischsprachige Tageszeitungen und eine Wochenzeitung.
Das Thema war lange ein Tabu in der Türkei. Wer sich dazu äußerte, sah sich der Gefahr ausgesetzt, gegen das Türkentum zu verstoßen und im Gefängnis zu landen. Seit der Ermordung von Hrant Dink 2007, dem Herausgeber der armenischen Zeitung Agos, mehren sich Stimmen, die zur Solidarität mit der armenischen Minderheit aufrufen. Noch im Ohr sind die Stimmen „Wir sind Hrant Dink“, als zahlreiche Demonstrationen gegen dessen Ermordung durch einen ultranationalistischen Türken auf die Straße gingen. Ihren Anfang nahm die Aufarbeitung durch eine Postkartenausstellung, die zur Zeit der Vertreibung von Armeniern an ihre Familienangehörigen verschickt wurden. Zuletzt ist ein anderer Aspekt in die öffentliche Diskussion geraten. Die Zwangstürkisierung vornehmlich armenischer Mädchen, die so überleben konnten und heute als Großmütter davon berichten. Auch das rüttelt am Stein des türkischen Einheitsstaates, wenn die eigenen Wurzeln plötzlich armenisch sind.
Auf Staatenebene bestand lange Stillschweigen: keinerlei diplomatische Beziehungen und geschlossene Grenzen. Seit einem WM-Qualifikationsspiel zwischen beiden Ländern ist die Eiszeit zumindest etwas aufgetaut. Beschlossen wurde eine teilweise Grenzöffnung und die Bildung einer gemeinsamen Historiker-Kommission zur Aufarbeitung der Geschehnisse. Dieser Prozess ruht derzeit.
Griechisch-Orthodoxe Minderheit
Die Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft werden als Rum (als römische/byzantinische Griechen) bezeichnet. Am Ende des Osmanischen Reiches war die Gemeinde die zweitgrößte nach den Türken selbst mit 2,5 Mio. Angehörigen. Heute leben nach Schätzungen nur noch 2500-3000 Griechen in der Türkei, fast ausschließlich in Istanbul. Durch Bevölkerungsaustausch, Vertreibung und Pogrome zogen die Griechen es vor, das Land zu verlassen. Problematisch ist der rechtliche Status des ökumenischen Patriarchen von Istanbul, der als Primus inter Pares Oberhaupt der orthodoxen Welt ist. Dies wird von der Türkei nicht anerkannt. In ihren Augen ist er nur das Oberhaupt der griechischen Orthodoxen in der Türkei. Was die Religionsgemeinschaft plagt, ist der fehlende Priesternachwuchs, weil die Ausbildungsstätten seit Jahrzehnten geschlossen sind und laut türkischem Recht alle Priester türkische Staatsbürger sein müssen.
Man erhofft sich im Zuge der EU-Beitrittsreform eine Wiedereröffnung des Priesterseminars auf der Prinzeninsel im Marmara-Meer. Die Gemeinde verfügt über ebenfalls über eine kulturelle Infrastruktur wie Kirchen, Schulen, Kinderheim, Gemeindestiftungen, Krankenhaus und Zeitungen.
Die jüdische Minderheit
Diese siedelt seit mehr als 500 Jahren ununterbrochen ohne Bedrohung der eigenen Existenz auf türkischem Gebiet. Insgesamt umfasst die Gemeinde 20 000 Personen. In Istanbul lebt
der Oberrabiner. Es gibt Synagogen, Gemeindestiftungen, Schulen, Krankenhäuser und Altersheime.
Das Verhältnis zur türkischen Mehrheitsbevölkerung war lange sehr gut, auch die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei waren von Kooperation in sicherheitspolitischer, militärischer und wirtschaftlicher Hinsicht geprägt. Seit dem 2. GAZA-Krieg 2008/2009 und der Militäraktion gegen den Schiffskonvoi mit Hilfslieferungen für Palästina ist das Verhältnis brüchig.
Umgang mit Religion im Alltag
Religiöse Zeichen
Die türkische Identität ist eindeutig muslimisch, auch wenn religiöse Zeichen und Verhaltensweisen in der Realität je nach Umfeld abgeschwächt zu finden sind. Verbreitet sind: Moscheen, Muezzin- Rufe, Ramadan-Fasten, Kopftücher, blaue Glasperlen gegen den bösen Blick, Verzicht auf Schweinefleisch, rituelle Schächtung von Tieren, Beschneidungsfeste.
Manchmal gibt es auch für Familien und Männer getrennte Restaurantbereiche (aile salonu), Frauen und Männer, die sich gegenseitig nicht die Hand geben, Restaurants ohne Alkohol, verschleierte Bräute, religiöse Kleidung, getrennte Hochzeiten, betende Menschen – am Freitag auch auf Wegen/Straßen.
Religion bietet Orientierung im Alltag für das Verhalten der Menschen. Christen und Juden steht man im Allgemeinen offen gegenüber, weil auch sie als Angehörige einer „Buchreligion“ gelten, Atheisten finden oft kein Verständnis.
Culture Cases Türkei
Die Publikation «Culture Cases Türkei» beleuchtet kulturelle Besonderheiten, die das Leben und Arbeiten in der Türkei prägen. Praxisnahe Fallstudien und Aufgabenstellungen zum Selbstlernen bieten Ihnen eine kulturelle Orientierungshilfe und unterstützt Sie, neue Handlungs- und Sichtweisen zu entwickeln.
Die Texte stammen von Martina Simon. Sie arbeitete mehrere Jahre in Istanbul im Bildungssektor und spricht fließend türkisch. Ihre Kernkompetenz liegt in der Kommunikation. Die GIZ und die Autorin ist informiert worden, dass das ehemalige Länderportal auf meiner touristischen Länderseite zur Türkei zumindest textlich weiterbesteht.